Martin Wehrle: „Wir müssen nicht Karriere machen!“

Martin Wehrle ist „Deutschland bekanntester Karriereberater“ (so der Focus). Ein breites Publikum kennt ihn durch seine Kolumne in der ZEIT und durch Auftritte in Talkshows wie „Markus Lanz“ und „Maischberger“. Seine Bücher sind Bestseller und rund um den Globus erschienen, allein „Ich arbeite in einem Irrenhaus“ hat sich über 300.000 Mal verkauft. Wehrle ist gelernter Journalist, war Chefredakteur und hat eine Doppelabteilung in einem Konzern geleitet.

Autor und Erfolgscoach Martin Wehrle. Bild: André Heeger
Autor und Erfolgscoach Martin Wehrle. Bild: André Heeger

Heute bildet er an seiner Karriereberater-Akademie (www.karriereberater-akademie.de) andere Karrierecoachs aus. In seinem aktuellen Buch „Sei einzig, nicht artig! – So sagen Sie nie mehr Ja, wenn sie Nein sagen wollen“ (Mosaik, 2015) erzählt er auch aus seinem eigenen Leben, etwa wie er sich in einen falschen Beruf verlaufen oder bereits als Schüler einen Prozess vor dem Bundesverfassungsgericht gewonnen hat.

Warum ist es so wichtig, das „Müssen“ zu überdenken?

Weil es für „Ich muss“ Übersetzungen in alle Weltsprachen gibt, aber am interessantesten ist die ins Deutsche: „Ich weigere mich, selbst zu entscheiden.“ Wir müssen nicht Überstunden klotzen, nicht Karriere machen, nicht schnell auf Mails antworten, nicht Ordnung halten und auch nicht beim Umzug der Freunde helfen.

Wir können uns jedes Mal neu entscheiden: dafür oder dagegen. Und jede Entscheidung hat Konsequenzen. Nur wer sich das bewusst macht, kann selbstbestimmt und glücklich leben. Der häufigste Grund für Burnout und Depression ist das Gefühl, einer Situation ausgeliefert zu sein. Also: Das Steuer in der Hand behalten!

Haben Sie wirklich den Eindruck, dass heute alles gleichförmiger wird und sich unsere Sehnsüchte in einem gesellschaftlichen (Schönheits-)Ideal zeigen?

Absolut! In meinem Buch zitiere ich eine Studie, nach der sich über 50 Prozent der Frauen zwischen 15 und 30 für „zu dick“ halten – obwohl das medizinisch bei Weitem nicht stimmt. Das heißt: Wir lassen uns Schönheitsideale und Überzeugungen aufschwatzen, die sich nicht mit unserem inneren Fühlen decken.

Theoretisch bietet das Internet zwar große Freiheiten, aber am Ende des Tages sehen wir uns alle in denselben sozialen Netzwerken wieder, kaufen unsere Bücher beim selben Online-Buchhändler und heben unseren Daumen bei Facebook für dieselben Dinge. Unsere Köpfe werden globalisiert – wir müssen wieder für unsere Individualität kämpfen.

Was wäre denn ein Ansatz, das zu ändern? Ist das nicht eigentlich kaum zu schaffen?

Doch, es ist zu schaffen. Denn jeder von uns hat eine innere Stimme, die ihm jeden Tag flüstert, was richtig oder falsch für ihn ist. Wer den falschen Job annimmt oder sich für den falschen Lebenspartner entscheidet, wird im Rückblick bemerken: Sein erstes Gefühl war schlecht – er hat es nur überhört. Also: mehr auf die eigene Intuition hören und weniger auf andere. In meinem Buch zitiere ich etliche Studien, die aufzeigen, wie man seine innere Stimme als Wegweiser fürs eigene Glück nutzt.

Mir kommt das manchmal vor wie ein Luxusproblem. Was machen denn Menschen, die einfach Verantwortung tragen wie Alleinerziehende oder Familienernährer?

Gerade solche Menschen tragen eine große Verantwortung – nicht nur für die anderen, sondern für sich selbst. Wenn ein Boot untergeht, reißt es diejenigen mit, die es getragen hat. Darum glaube ich, dass sich Menschen auch in schwierigen Situationen mehr Zeit für ihre eigenen Bedürfnisse nehmen können.

Solche Zeit entsteht zum Beispiel, indem man sich weniger von der Werbung beeinflussen lässt. Wer zum Beispiel auf das neuste Handy, auf den neusten Computer und auf die angeblich neuste Mode verzichtet, schafft finanzielle Spielräume – und kann sie für seine eigene Lebensqualität nutzen. Manchmal reicht schon eine kleine Reise. Oder eine winzige Aus-Zeit.

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