Thomas Sattelberger: „Große Konzerne sind wie Vampire.“

Sie möchten ganz an die Spitze? Ehe Sie abheben, sollten Sie wissen, was Thomas Sattelberger dazu zu sagen hat. Der Ex-Personalvorstand der Deutschen Telekom hat seine Karriere aufgeschrieben – und die Schlüsse, die er daraus gezogen hat. „Ich halte nicht die Klappe“ heißt diese Biografie, und auch im Interview nimmt Sattelberger kein Blatt vor den Mund. Er verrät, wie es auf der Chefetage zugeht, welcher Karrieretraum besser der Wirklichkeit weicht und wie Sie sich zum Architekten oder zur Architektin Ihres Lebensplans machen.

Herr Sattelberger, wir sind auf Sie gekommen, als Sie auf Twitter schrieben: „Als Dax-Vorstand sind Sie ein fast absolutistischer Herrscher.“ Was heißt das?
Biografie: "Ich halte nicht die Klappe.", erschienen im Murmann-Verlag
Biografie: „Ich halte nicht die Klappe.“, erschienen im Murmann-Verlag

Man unterschätzt häufig, welche Rolle Macht in großen Organisationen spielt. Selbst ein Aufsichtsrat tut sich extrem schwer, den Stil, das Führungsverhalten, die Art der Zusammenarbeit, den Habitus eines Vorstands positiv wertzuschätzen oder negativ zu sanktionieren. Man ist da fast in einem Vakuum, in dem man voll operieren kann – solange die rationalen Ergebnisse funktionieren. Man denkt, Unternehmen seien sachlich-rationale Gebilde, ab und zu gäbe es mal Auseinandersetzungen um Richtungen oder Methodik. Aber dabei vergisst man, dass große Konzerne erstens un-unternehmerische Max Webersche Bürokratien sind, zweitens in der Balance der Immobilität bleiben müssen und drittens über interne Mechanismen die Macht absichern.

Wie muss man sich denn benehmen, wenn man in einem solchen Klima etwas gestalten will?

Man muss die traditionellen Rollenerwartungen leben können, quasi wie ein Wolf im Schafspelz oder ein Schaf im Wolfspelz. Dort zu überleben und sich parallel Räume zu schaffen für das Innovieren, das erfordert eine enorme Überlebensleistung: das vordergründige Arrangieren mit einem bestimmtem Habitus, mit Ritualen, mit herrschenden Gesetzen, mit bestimmten Formen der Auseinandersetzung und das In-Beschlaggenommensein von Themen, die man nicht für sonderlich sinnvoll hält. Das alles muss sitzen, um die Freiheit zum Innovieren zu haben. Zeigt man sich in diesen Punkten dagegen verwundbar, ist das eine große Achillesferse.

Was heißt das jetzt für die Führungskraft, die auf dem absolutistischen Herrscherniveau noch nicht angekommen ist …

Da werden 99,9 Prozent nicht ankommen! Den Traum muss man bitte austräumen. Es gibt in Deutschland 30 Dax-Unternehmen mit vielleicht 160 Vorständen. Und die wechseln maximal alle fünf Jahre. Dagegen gibt es Millionen Akademiker und Akademikerinnen, die Aufstiegswünsche haben. Ihre Frage suggeriert, viele könnten das werden. Nein! Die meisten enden desillusioniert mit grauen Anzügen und speckigen Hintern irgendwo in den mittleren Management-Rängen.

Was macht denn eine gute Führungskraft aus? Sie haben bei der Telekom, bei Conti und bei Daimler Führungspotenzial entwickelt und dabei ja viel beobachten können, was in Unternehmen passiert.

Ich habe mehr Menschen gesagt, sie sollen über Alternativen nachdenken, als ich Menschen geraten habe, in der bestehenden Organisation ihren Weg weiterzugehen.

Denn große Konzerne sind wie Vampire. Sie saugen die Loyalität der vielen Tausenden aus. Sie wissen, sie können nur die Loyalität von wenigen Dutzend honorieren, suggerieren aber, sie könnten die Loyalität von Tausenden bedienen, und jeder Einzelne hätte eine Chance.

Die Menschen müssen sich vom Mythos des Konzerns lösen. Denn er wird ihnen das nicht geben, was sie sich von ihm erhoffen. Insbesondere jüngere Leute sollten deshalb früh eine Varietät in ihre Karriere einbauen.

Was heißt das?

Sie sollten in unterschiedlichen Funktionen, Branchen und Projektorganisationen arbeiten, im Wechsel von Freiberuflichkeit und „abhängiger“ Beschäftigung. Ich nenne das „ein Portfolio an Erfahrungsfeldern aufbauen“. Und das Scheitern ist ja in jüngeren Jahren noch sehr viel einfacher zu verkraften als in älteren. Du hast ja keine Verpflichtungen, wo du beispielsweise ein Haus abzahlst, und noch keine Familie als Bündel an Verantwortung im Rucksack. Deswegen finde es so grauslich, wenn junge Menschen diese Chancen nicht nutzen. Das heißt nicht, dass in älteren Jahren da Hopfen und Malz verloren ist. Aber es ist ein Stückchen schwieriger. Voraussetzung ist in jedem Fall, dass man sich von dem Glauben löst, der Konzern sei die gute Mutter mit der nährenden Brust.

Da setzen viele Menschen ihr Vertrauen auf das falsche Pferd.

Ja! Sie müssten stattdessen sich selbst vertrauen. Sie müssten sagen: Ich bin Unternehmer und Unternehmerin meiner eigenen Talente, und wenn die Bilanz nicht stimmt, wenn ich mehr gebe, als ich kriege, und das über einen längeren Zeitraum, und ich habe es adressiert und es hat sich nicht verändert, dann gehe ich meinen eigenen Weg.

Über Jack Welch kann man ja viel reden, aber sein Satz „Control your destiny or somebody else will do“ ist ein Schlüsselsatz.

Wenn man sich meine Entwicklung anguckt, dann war ich so schlecht da nicht. Ich habe in meiner Laufbahn vier Konzerne und in diesen Konzernen vier Branchen und sieben Unternehmungen erfahren, und ich war im operativen Bereich, im Vertrieb und im Personalbereich. So wird man ein Architekt seines eigenen Lebensplans.

Wer etwas bewegen will, braucht Zeit zum Nachdenken. Auf Führungsebene hat man aber wenig Zeit. Wie haben Sie sich diesen Raum geschaffen?

Mein persönliches Lernmodell taugt nicht als Vorbild. Ich habe auf der einen Seite meine 60-Stunden-Woche gemacht für das traditionelle Geschäft und dann noch mal 30 oder 35 Stunden draufgeklatscht, damit ich meine spannenden Themen machen konnte. Das ist ja nicht die feine Art zu arbeiten. Deswegen würde ich dazu raten, Unternehmen zu suchen, die Freiheit geben. In Deutschland ist das eher der fortschrittliche Mittelstand. Aber Achtung: Nicht jeder Mittelstand ist fortschrittlich. Die Gründerszene ist auch eine Option. Wobei – ich sage es mal liebevoll: Zum Glück sucht nicht jeder Mensch nach Freiheit, sondern viele wollen ja eigentlich gut bezahlte Indianer sein.

Was würden Sie jemandem raten, der vielleicht noch nicht so weit in seiner Karriere ist, der gestalten möchte, aber auch unbedingt offen und kooperativ arbeiten will. Geht das?

Ja, natürlich geht das. Aber dazu muss man Abschied nehmen vom Mythos der Konzerne. Menschen mit einem ausgeprägten Freiheitssinn werden in den Max Weberschen Bürokratien keine Zukunft haben.

Die meisten bleiben als funktionierende Rädchen im Getriebe dieser Bürokratien irgendwo im mittleren, oberen Management. Ich habe so viele begabte junge Männer und Frauen gesehen, die dort ihr Rückgrat verloren haben, farblos geworden sind. Viele der Talente, die ich in 40 Jahren Konzernkarriere erlebt habe, sind als so ziemlich an ihren Aspirationen gescheiterte Menschen in den Ruhestand gegangen.

Deshalb muss sich so jemand den Konzern aus dem Kopf schlagen. Und sagen: Entweder schaue ich in die Gestaltungsspielräume mittelgroßer Unternehmen, gerne mittelgroßer Hightech-Unternehmen, denn diese haben häufig sehr nach vorne gerichtete Arbeitskulturen. Oder ich gehe den Weg in die Freiberuflichkeit oder in die Gründung.

Wie schaffe ich diesen Übergang?

Ich muss aufhören, mich anzulügen nach dem Motto: Ich passe mich jetzt an, und später kommt die Freiheit. Stattdessen muss ich ganz nüchtern schauen, was ich mache. Wie geht es mir denn wirklich bei der Arbeit? Und da stelle ich fest, dass ich zu 70, 80 Prozent Arbeit mache, die nicht sinnstiftend ist. Deswegen flüchten ja Menschen in die Work-Life-Balance. Das ist eine Flucht aus sinnentleerter Arbeit. Ich muss mir schonungslos eingestehen, dass ich flüchte. Und dass das, was ich in Konzernen mache, nicht „career“ ist im amerikanischen Sinne, sondern nur „Karriere“ im deutschen Sinne.

Was ist der Unterschied?

„Career“ heißt persönliche Entfaltung und Entwicklung, das ist eine viel breitere Sichtweise, sie hat mit Fähigkeiten, Talenten, Begabungen zu tun und nicht mit dem Hochklettern wie – ja, wer klettert denn eine Leiter hoch? – ein Schornsteinfeger.

Ihre Kurzbiografie beim Revue Magazin führt an, dass Sie in vier Dax-Konzernen gearbeitet haben, und schließt mit dem Satz: „His urge to change society to the better is still unbroken.“ Wie haben Sie das geschafft, wieso ist dieser Drang immer noch da?

Als ich 2010 sagte, dass ich 2012 aufhöre mit Industrie- und Topmanagerarbeit, dann deshalb, weil ich noch einmal 15 Jahre lang etwas anderes machen wollte. Und zwar in einem anderen Kontext und stärker selbstgesteuert an Themen arbeiten, die mir wichtig sind.

Für mich wäre es das Schlimmste, wenn ich mir irgendwann eingestehen müsste: Ich habe meine Talente und Potenziale verschleudert.

Ich glaube, Menschsein hat zutiefst damit zu tun, dass man seine Gaben ausschöpft. Und jeder Mensch hat Gaben, ganz unterschiedliche, das ist ja das Gute. Viele enden aber im Millionenheer der grauen Anzüge und stellen fest, dass sie ihre Begabungen nicht gelebt haben. Und das habe ich mir nie bieten lassen. Das hat damit zu tun, dass ich mich selbst frage: Was ist mir wichtig, wonach dürstet mich, was hat mich immer angetrieben? Das hört ja nicht auf, wenn man 66 und im so genannten Ruhestand ist.

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